Ein Desaster namens TV-Duell

Nicht ganz unerwartet gab US-Präsident Biden beim gestrigen TV-Duell mit Herausforderer Trump ein desaströses Bild ab. Wenige Stunden nach dem Duell forderten führende Demokraten den Präsidenten unverhohlen zum Rücktritt auf.

Er solle den Weg frei machen, damit der vom 19. bis 22. August stattfindende Parteikonvent der Demokraten einen anderen Kandidaten nominieren kann, heißt es. Die Risiken sind dabei hoch, der Prozess einer Ablösung des Präsidentschaftskandidaten kurz vor den Wahlen ist ohne Beispiel.

Möglicherweise würde die bisher nicht besonders aufgefallene Vize-Präsidentin Kamala Harris aufs Schild gehoben. Sie gilt als einigermaßen woke und als „Null“ in Wirtschaftsfragen. Sie hätte wohl nur eine Chance, wenn als Kandidat für den Posten des Vize-Präsidenten ein Wirtschafts-Fachmann, also ein Abgesandter von Wall Street, benannt würde.

Kann auch sein, dass das alles ein abgekartetes Spiel ist und man hoffte geradezu darauf, dass sich Biden blamiert. Wenige Monate vor der Wahl eine unverbrauchte Person ins Rennen zu schicken, mag aus Sicht der Demokraten taktisch nicht unklug sein.

Um mit Biden als Kandidat noch eine Chance auf den Sieg zu haben, bliebe der demokratischen Partei ansonsten nur die Hoffnung auf schwere Fehler von Trump.

Welche anderen Möglichkeiten sind denkbar?

Die US-Bevölkerung ist das Hickhack und die Polarisierung zwischen den beiden politischen Lagern einigermaßen leid. Viele amerikanische Wähler wollen weder Biden noch Trump haben. Biden ist zu alt und zu schwach und Trump gilt vielen als kaum berechenbar. Er hätte das emotionale Korsett eines Fünfjährigen, heißt es hin und wieder.

Es scheint so als verabschiedet sich die schweigende Mehrheit in den USA gerade von der traditionellen Parteibindung. Die dogmatische Spaltung zwischen Geldverschwendern und narzistischen Pöblern ruft nach Alternativen. Die Inflation wird Biden zugeschrieben, bei vielen Wählern kommt der immer wieder gepriesene wirtschaftliche Aufschwung nicht an. Zudem lehnen viele den Ukraine-Krieg mit der Milliarden-schweren Unterstützung durch die USA ab.

Daher würde ich es jetzt nicht ganz ausschließen, wenn Robert F. Kennedy Jr. eine Chance hätte, der nächste US-Präsident zu werden. Er wird von den Quantitätsmedien der USA bisher systematisch geschnitten. Mit ihm würde erstmals seit George Washington im 18. Jahrhundert wieder ein unabhängiger Kandidat Präsident.

In Umfragen favorisierten gestern per Saldo 11,5% der Befragten Kennedy nicht, 26,3% haben keine Meinung dazu. Vor einem Jahr war es umgekehrt, da lag der Saldo bei 18% pro Kennedy, 29% waren neutral (siehe hier!). Ich bin gespannt, wie sich der Ausgang des TV-Duells hier niederschlägt – das Ergebnis wird täglich aktualisiert.

Kennedy vertritt liberale, konservative, auch libertäre Ansichten. Er erhält viel Unterstützung von Unabhängigen, jüngeren Leuten und Menschen mit geringem Vertrauen in die etablierte amerikanische Politik. Seine Kampagne wird von nicht wenigen Führungskräften der Technologiebranche im Silicon Valley unterstützt.

Kennedy hat in der Corona-Zeit eindeutig Stellung bezogen gegen die Gesundheitspolitik der Regierung, er hat sehr viel zur Aufklärung über die Hintergründe und die jahrzehntelange Verflechtung des Staates mit der Pharmaindustrie beigetragen (siehe hier!). Dafür wurde er und seine Children's Health Defense in den sozialen Medien systematisch zensiert.

Falls weder Trump noch Biden bei der Wahl zum nächsten US-Präsidenten die laut Verfassung für einen Wahlsieg erforderlichen 270 Stimmen der in den einzelnen Gliedstaaten bestimmten Wahlmänner erringen kann, würde es zu einem komplexen Abstimmungsverfahren im Senat und im Repräsentantenhaus kommen. Oder auch zu einem gewaltigen verfassungsrechtlichen und juristischen Spiessrutenlauf, der lange dauern kann.

Nach Einschätzung von Fachleuten könnten gerade einmal 37 Stimmen des Wahlmännerkollegiums ausreichen, um Kennedy zum Präsidenten zu machen. Auch wenn es nicht dazu käme (was wahrscheinlich ist), könnte Kennedy mit seiner dritten Partei zu einer nicht mehr zu verleugnenden Kraft im politischen Dialog der USA werden.

Das wäre aus meiner Sicht der „best case“.

Der „worst case“ wäre: Mit dem Ausgang des TV-Duells ist es nahezu sicher, dass Biden die Wahl zum nächsten US-Präsidenten verliert. Biden ist schwach und vielleicht auch dement. Genau das war aber aus Sicht der Falken in den USA sein Vorteil, so konnten sie im Hintergrund nach Belieben die Strippen ziehen. Das gilt insbesondere für die Neocons. Was mit einem Präsidenten geschieht, der zu stark ist und eigene Wege geht, lässt sich am Schicksal von J. F. Kennedy ablesen.

Russland ist im Krieg in der Ukraine immer mehr im militärischen Vorteil. Die NATO hat sich in eine Ecke manövriert, in der ein dritter Weg zwischen Gesichtsverlust und Eskalation des Konflikts immer unwahrscheinlicher wird. In der US-Bevölkerung wächst der Unmut über diesen Krieg und seine massive Unterstützung durch die USA. Mit dem Ausgang des TV-Duells kommt ein weiterer Unsicherheitsfaktor ins Spiel.

Diese Situation könnte die US-Falken dazu bewegen, offen in den Krieg einzutreten. Das hätte aus deren Sicht wiederum den „Reiz“, dass dann die Wahlen zum nächsten US-Präsidenten abgeblasen werden können. Biden oder sein Nachfolger/seine Nachfolgerin würden im Amt bleiben. Das eingeübte Marionetten-Spiel ginge weiter.

Was käme den Falken gelegen? Sie bräuchten einen (kleinen) Anlass – siehe z.B. den Beginn des Ersten Weltkriegs. Und wenn kein Anlass um die Ecke kommt – dann schafft man eben einen. Heute heißt das False-Flag-Operation.

Die bisher folgenreichste militärische False-Flag-Operation der Geschichte führte zum Zweiten Weltkrieg. Eine kleine Gruppe von SS-Männern stürmte als polnische Freischärler verkleidet am 31. August den nahe der polnischen Grenze gelegenen deutschen Radiosender Gleiwitz. Hitler log den von seinem Regime inszenierten Vorfall in einen Akt der Selbstverteidigung um und rief am 1. September 1939 vor dem Reichstag aus: „Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen.“

Ergänzung
Jon Stewart analysiert in seiner satirischen „The Daily Show“ das TV-Duell: „Trumps eklatante Lügen und Bidens grosse Momente“

Nachtrag
Seymour Hersh: Wer regiert das Land? – „Die Leser dieser Kolumne wissen, dass Präsident Joe Biden seit Monaten in die Bedeutungslosigkeit abdriftet, da er und seine außenpolitischen Berater auf einen Waffenstillstand drängen, der im Gazastreifen nicht zustande kommen wird, während sie weiterhin die Waffen liefern, die einen Waffenstillstand unwahrscheinlich machen. Ein ähnliches Paradoxon gibt es in der Ukraine, wo Biden einen Krieg finanziert, der nicht zu gewinnen ist, und sich weigert, an Verhandlungen teilzunehmen, die das Gemetzel beenden könnten. Die Realität hinter all dem ist, wie mir seit Monaten gesagt wird, dass der Präsident einfach nicht mehr in der Lage ist, die Widersprüche der von ihm und seinen außenpolitischen Beratern verfolgten Politik zu verstehen."

(30.6.24) New York Times: „Bei der Debatte am Donnerstagabend wirkte Präsident Biden wie der Schatten eines großen Staatsdieners. Der größte öffentliche Dienst, den er jetzt leisten kann, ist die Ankündigung, dass er nicht mehr für die Wiederwahl kandidieren wird, schreibt unsere Redaktion.“

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