Gedanken zur US-Wahl

Morgen ist Wahltag – in den USA. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als Obama 2008 zum ersten Mal als Präsident gewählt wurde. Ich habe mir damals die Nacht um die Ohren geschlagen, um das im TV zu verfolgen. Das werde ich morgen auch, allerdings etwas näher am Geschehen dran. Wie viele andere hatte auch ich damals große Erwartungen an Obama. Er hatte sie selbst geweckt: „Change? Yes, we can.“

Passiert ist danach viel, die meisten Versprechungen blieben aber das, was sie waren. Change? Die vor seiner Amtszeit begonnene beispiellose Schnüffelei der NSA wurde unter Obama systematisch weiter getrieben. Auch die Umverteilung ging unter Obama beschleunigt weiter. Der Kampf gegen den Terror und der Kampf gegen die Folgen der Finanzkrise dienten als Begründung. Kein Change.

Vielleicht konnte Obama nicht anders, vielleicht wusste er es nicht besser. Sein Wahlkampf 2008 wurde massiv unterstützt von Wall Street. Und da dort nicht die einflusslosesten Bürger ihr Dasein fristen, dürfte es gewisse Zusammenhänge geben…

Das Verhältnis der gesamt-nationalen Staatsschulden zu BIP beträgt in den USA aktuell 125% (siehe hier!). Im vergangenen Jahr sind sie um 1,6 Mrd. Dollar angewachsen. In 2016 ergeben sich netto-Zinszahlungen in Höhe von 250 Mrd. Dollar. „Netto“ – das US-Finanzministerium gibt als effektive Zinslast für 2016 432 Mrd. Dollar an. Das „Congressional Budget Office“ schätzt, dass sich die netto-Zinszahlungen in zehn Jahren auf 800 Mrd. Dollar mehr als verdreifachen. Nicht-bilanzierte Verpflichtungen aus „Social Security“ und verschiedenen anderen Krankenversicherungs- und Pensionsprogrammen belaufen sich auf mindestens 100 Bill. Dollar, ein Richtwert in einer Vielzahl von Schätzungen.

43 Millionen US-Bürger leben in Armut, beziehen Lebensmittelmarken. In den zurückliegenden 16 Jahren sind fünf Millionen Jobs in der Fertigung verloren gegangen. In dieser Zeit ist das Median-Einkommen um gerade einmal drei Prozent gestiegen, die Median-Hauspreise haben sich fast verdoppelt. 94 Millionen werden nicht der arbeitenden Bevölkerung zugerechnet, 15 Millionen davon sind aktuell arbeitslos (nach offiziellen Zahlen sind es nur acht Millionen).

Wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher, könnten die gesamt-nationalen Staatsschulden in vier Jahren an 30 Bill. Dollar herankommen. Eigentlich fast egal, welche Zinshöhe man annimmt, die zu zahlenden Zinsen könnten dann leicht 15% der Steuereinnahmen verbrauchen. Wenn die Steuereinnahmen heute schon kaum ausreichen, um nur die laufenden Ausgaben im Staatshaushalt zu decken – was ist, wenn eine Rezession in die Quere kommt?

Das ist die Situation, die der oder die nächste US-Präsident(in) vorfindet.

Die angehäuften Schulden müssen in der einen oder anderen Form gezahlt werden. Sie belasten die Wachstumsmöglichkeiten, der Punkt dürfte überschritten sein, an dem es noch möglich war, aus den Schulden herauszuwachsen. Eine Steuererhöhung, groß genug, um den Schuldenberg abbauen zu können, tangiert das Wachstum ebenso. Die Wachstumskräfte sind auch schon aus anderen Gründen, Stichwort etwa Demographie, erlahmt. Ein gutes Herauskommen aus der Schuldenfalle ist kaum vorstellbar. Verdrängung hilft nicht weiter. Weiter Geld drucken? Steuern erhöhen? Sparen? Die größten Posten im Staatshaushalt sind Schuldendienst, Verteidigung und Soziales.

Eine klare Antwort und ein klares Programm hinsichtlich dieser essentiellen Herausforderungen hat kein Kandidat. Clinton steht für „weiter so“, auch hinsichtlich der Art der „modernen“ Geldpolitik, die sich in den zurückliegenden Jahren so grandios bewährt hat (für wen?). Trump will die Jobs aus China und anderswo zurückholen, und er will die Steuern erhöhen – natürlich nur für die Normalverdiener.

Dabei ist die Situation in den USA noch deutlich besser als vielen anderen Ländern der entwickelten Welt. Die Politik drückt sich aber überall gleichermaßen um die wichtigen Fragen herum. Unangenehme Wahrheiten mit negativen Konsequenzen für die Bürger werden lieber tot geschwiegen, man will ja schließlich wiedergewählt werden. Überall gilt aber auch, je länger man zögert, je mehr verschärfen sich die Probleme.

Vieles erinnert an die Zeit nach dem ersten Weltkrieg, schreibt Thomas Fricke, „…Anfang des 20. Jahrhunderts (waren) die Grenzen so offen und die Märkte weltweit in etwa so stark integriert wie dann erst wieder nach drei Jahrzehnten erneuter Globalisierung im Jahr 2000.“ Auch die Einkommens- und Vermögensverteilung war Ende der 1920er Jahre in etwa so ungleich wie jetzt wieder (siehe auch hier!).

Der Einfluss der Finanzindustrie war damals wie heute auf einem Höhepunkt. Die Zahl der Finanzkrisen hatte bereits vor dem Crash 1929 stark zugenommen, seit der Liberalisierung der Finanzmärkte Ende der 1990er Jahre (in der Ära Clinton, der Bill) geht es ähnlich zu. 2008 hatten wir den größten Crash seit 1929.

In den 1930er Jahren folgte auf die mit dem Crash von 1929 losgetretene Krise fast überall ein Rechtsruck. Die herrschende Politik war unfähig, stringent zu agieren. Extreme Parteien rissen das Ruder hin- und her. Oder es herrschte politischer Stillstand. Das Aufkommen nationaler, separatistischer Strömungen war da kein Zufall. Und ist es heute auch nicht, wie der Blick nach Russland, in die Türkei, nach Ungarn, sowie nach Polen, auch nach Brexitannien zeigt. Und eben in die USA.

Grundlage von allem ist die mit der Finanzsystem-gesteuerten Globalisierung der Wirtschaft ins Extreme getriebene ungleichmäßige Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstands, verbunden mit der Befürchtung breiterer Bevölkerungsschichten, deklassiert zu werden (siehe z.B. hier!). Sie verlieren das Vertrauen in die etablierte Politik. Es scheint die Gleichung zu gelten: „Je stärker der Einfluss der Finanzsphäre, desto stärker der Eindruck, dass die gewählten Politiker die Kontrolle verlieren,“ schreibt Fricke.

Ich würde es so formulieren: Der wachsende Einfluss der Finanzindustrie führt einigermaßen regelmäßig zu einer Situation, in der die etablierte Politik auf ihren Einbahnstraßen keine zukunftsweisenen Lösungen mehr anbieten können. Das wird am Anfangs-Thema „Schulden“ besonders deutlich: Der Schuldenberg müsste auf ein tragbares Maß zurückgeführt werden. Ein etablierter Politiker würde aber mit einem solchen Vorhaben direkt gegen die Interessen derjenigen handeln, die an der Staatsverschuldung gut verdienen, den Finanzinstitutionen.

Und so geschieht nicht das, was nötig wäre, weil es sich nicht mit den Interessen der (finanz-)ökonomischen Eliten deckt. Damit deren Macht in einer solchen, sich zuspitzenden Situation erhalten bleiben kann, muss eine andere Politik her. Und ein anderes gesellschaftliches Klima. Dann besteht die Gefahr, dass die mit der Globalisierung gestützte, bis zu einem gewissen Grad notwendige Attitüde der Freizügigkeit und Liberalität ersetzt wird durch dumpfe Abgrenzung, Abschottung und irrationale Feindbilder – und die Stunde der Angstmacherei und Einschüchterung bis hin zur offenen Diktatur schlägt.

Wenn wir nicht aufpassen, bekommen die radikalen Rattenfänger à la Trump Oberwasser.

Ergänzung:
Michael Moore nennt fünf Gründe, warum Trump seiner Ansicht nach die Wahl gewinnt.

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